Expertenrunde diskutiert die Rolle der Unternehmen als „Kümmerer“ – Gesundheits- und Sozialmanagement wird immer wichtiger
Ein Unternehmen ist gesund, wenn seine Mitarbeiter gesund sind. Und dafür zu sorgen, heißt weit mehr als einmal im Jahr eine Rückenschule anzubieten oder in der Kantine ein Poster über gesunde Ernährung aufzuhängen. Die Unternehmen haben längst erkannt: Gesundheitsmanagement ist ein entscheidendes Kriterium im Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter. Diejenigen Betriebe bekommen oftmals die Besten, die das beste Profil bieten in Sachen Unternehmenskultur. Körperlich, seelisch, sozial – wo fühlen sich die Mitarbeiter aufgehoben? Aber wie sieht ein gutes Gesundheitsmanagement überhaupt aus? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Diskussionsrunde, zu der sich Experten aus Wirtschaft, Medizin und Beratungsstellen bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen trafen.
Moderiert von Daniel Imhäuser (doqtor Unternehmergesellschaft) machten Dr. Gisela Labenz (Ernährungs- und Präventionsmedizinerin), Cornelie Rothmaler-Schön (Verlag Vorländer & Rothmaler), Stephan Jäger (IHK Siegen), Thomas Kleb (Fa. Heinrich Georg), Michael Langhorst ( Fa. SIEGENIA-AUBI KG), Dr. Claus Offermann (ZertSozial Stuttgart) und Sebastian Schreiber (Diakonie Sozialdienste) deutlich, dass die Bedeutung des Themas zwar erkannt ist, doch die Suche nach der richtigen Strategie erst begonnen hat.
Die Frage, wie man mit Stress umgehen kann, wird immer wichtiger.“
(Dr. Gisela Labenz, Präventionsmedizinerin)
„Rücken“, sagt Dr. Gisela Labenz. „In den Firmen werde ich immer wieder gebeten, etwas zum Thema Rücken zu sagen.“ Für die Ärztin, die sich auf Präventionsmedizin spezialisiert hat, ist das ein Klassiker. „Ich erkläre dann, dass bis zu 80 Prozent der Rückenleiden in Betrieben mit sitzender Tätigkeit psychosomatisch sind.“ Und dann schaut sie in betretene Gesichter. Was kann man da als Arbeitgeber tun? Man muss etwas tun, sagt Stephan Jäger von der IHK Siegen. Der demographische Wandel ist in den Betriebe längst angekommen. „Das Potenzial an Fachkräften wird in Deutschland und auch in der Region zunehmend knapper“. Junge, qualifizierte Mitarbeiter sind schwer zu finden. Die Firmen sind auf die Älteren angewiesen, die natürlich möglichst lang gesund bleiben sollen. Die Mitarbeiter „in den besten Jahren“, sind nicht nur beruflich, sondern auch familiär besonders gefordert. Zuerst vielleicht durch Kinderbetreuung, später durch die Pflege der eigenen Eltern.
Unternehmen, die sich um gesundheitliche und soziale Fragen nicht kümmern, werden mittelfristig weniger erfolgreich sein.“
(Michael Langhorst, SIEGENIA-AUBI KG)
In den Unternehmen reagiert man. Bei SIEGENIA gibt es zum Beispiel einen Betriebskindergarten, der Montag bis Freitag von 5.30 bis 18 Uhr geöffnet ist, ein betriebseigenes Mitarbeiterrestaurant mit gesundem Essen, jährliche Grippeschutzimpfungen im Betrieb. Für Michael Langhorst, Stellvertretender Personalleiter, ist aber klar, dass die Herausforderung noch größer ist. „Gesundheitsmanagement ist mehr als ein bisschen Betriebssport.“ Man wolle schließlich ein gesundes Unternehmen, im doppelten Wortsinn, sein.
Unsere Motivation, sich mit Gesundheits- und Sozialmanagement zu beschäftigen, ist der ganzheitliche Blick auf den Mitarbeiter.“
(Thomas Kleb, Fa. Georg)
Thomas Kleb von der Firma Georg stimmt ihm zu. Auch dort hat man einiges getan, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern: Kooperation mit einem Kindergarten, Eltern-Kind-Zimmer, Home-Office-Modelle. „Aber das reicht nicht“, räumt er ein. Psychische Probleme, finanzielle Sorgen, Suchtprobleme – es gibt eine Vielzahl von Punkten, über die Mitarbeiter nicht reden können oder wollen – vor allem nicht mit dem Arbeitgeber. „Wir haben uns deshalb entschlossen, im Rahmen unseres integrierten Gesundheits- und Sozialmanagementsystems, eine Kooperation mit den Diakonie Sozialdiensten einzugehen.“ Die Georg-Mitarbeiter können – und zwar völlig anonym – eine Hotline, die von der Diakonie betreut wird, anrufen und sich dort Rat und konkrete Hilfe zu holen. „Das wird angenommen“, berichtet Kleb. „Und ich finde das ist ein gutes Zeichen.“
Dr. Claus Offermann von der Stuttgarter ZertSozial GmbH, dem Prüfungs- und Zertifizierungsdienstleister für Soziales, Gesundheit und Bildung, ist von dieser Idee sehr angetan. Es gehe darum, die Mitarbeitenden anders in den Blick zu nehmen. Die Betriebe müssten für BGM nicht nur den eigenen Einflussbereich innerhalb der Werkstore im Blick haben. Psychische und physische Belastungen als Gründe für gesundheitliche Probleme der Mitarbeitenden liegen häufig außerhalb der beruflichen Arbeit z.B. in familiären Anforderungen. Auch die Lösungen für die Belastungen und Probleme lassen sich oft nicht durch die Betriebe selbst bereitstellen. Die Employee Assistance Programs (EAP), also Programme zur Mitarbeiterberatung durch ein externes Unternehmen, seien sowohl für betrieblich wie auch nicht-betrieblich verursachte gesundheitliche Probleme hilfreich. „Alleine werden die Unternehmen es nicht schaffen. Sie müssen die Belastungen der Mitarbeitenden draußen sehen und sie müssen die Zusammenarbeit mit Ärzten und Beratungsstellen suchen.“
Das Potenzial an Fachkräften wird in Deutschland und auch in der Region zunehmend knapper“.
(Stephan Jäger, IHK Siegen)
Auch wenn Gesundheit schwer messbar ist, so zeigen doch die Zahlen der Krankenkassen: Stress macht krank. Und Krankheitstage kosten Geld. „Obwohl sich heute kaum noch einer krankschreiben lassen will“, berichtet Dr. Gisela Labenz. Aus ihrer Sicht ein Teufelskreis. Wer sich krank zur Arbeit schleppt, ist nicht leistungsfähig, steckt andere an, verschlimmert sein Leiden. „Das kann nicht im Interesse der Arbeitgeber sein“, so die Ärztin. Die Sorge um den Mitarbeiter ist eben nicht nur ethisch richtig, sondern auch ökonomisch vernünftig, ergänzt Sebastian Schreiber von den Diakonie Sozialdiensten. Der Fachmann für Qualitätsmanagement und Sozialpädagoge hat einen doppelten Blick auf die Dinge. „Es geht nicht nur um betriebswirtschaftliche Kosten, die durch Krankheitsausfälle entstehen, sondern darum, wie motiviert ein Mitarbeiter ist.“ Wer krank oder zu stark belastet ist, kann keine Leistung bringen. Moderator Daniel Imhäuser fragt nach den Gründen. Das liegt für alle Experten am Tisch auf der Hand: Der Arbeitsalltag ist heutzutage zu stark verdichtet. Schreiber: „Die Führungsebene steckt ja oft selbst in dem Dilemma, lebt mit Belastungen, die krank machen. Der Blick dafür muss geschärft werden.“
Langhorst ergänzt: „Die Gesundheit der Menschen wird mehr und mehr ein strategischer und wirtschaftlicher Faktor. Unternehmen, die sich um gesundheitliche und soziale Fragen nicht kümmern, werden mittelfristig weniger erfolgreich sein.“ Er findet wichtig, Führungskräfte für das Thema zu sensibilisieren, damit sie ihre Vorbildfunktion optimal wahrnehmen können. „Dazu müssen wir Leitbilder entwickeln und die Führungskompetenz gesundheitsorientiert erweitern.“
Cornelie Rothmaler-Schön warnt allerdings: „ Das Interesse am Mitarbeiter darf nicht durch irgendwelche Aktionen vorgespielt werden. Die Sorge muss authentisch sein.“ Die Verlegerin sieht gerade für kleine und mittelständische Unternehmen eine Chance. „Hier geht der einzelne nicht so leicht in der Anonymität unter.“ Stephan Jäger pflichtet ihr bei: „Wir könnten in der Region Gesundheitsmanagement zu unserem Thema machen. Wenn wir in Südwestfalen da zum Vorreiter werden, wäre das toll.“
Was empfehlen die Experten?
- Dr. Claus Offermann: Betriebliches Gesundheitsmanagement nicht alleine machen, sondern externe Kooperationspartner suchen, zum Beispiel Ärzte oder Beratungsstellen.
- Thomas Kleb: Die Probleme nicht wegdelegieren, sondern im Gespräch mit den Mitarbeitern bleiben.
- Dr. Gisela Labenz: Die Belegschaft präventiv aufklären, damit es gar nicht erst zu Erkrankungen kommt, die man durch gesunde Ernährung, Bewegung und Lifestyle-Modifikationen verhindern kann.
- Michael Langhorst: Betriebliche Prozesse systematisch, zielorientiert und kontinuierlich steuern, um die Gesundheit, die Leistung und den Erfolg für das Unternehmen und seine Beschäftigten zu erhalten und zu fördern.
- Sebastian Schreiber: Erkennen, dass das Thema eine individuelle Herangehensweise verlangt. Mittlere Führungskräfte in ihrer Selbstkompetenz schulen. Deren Belastung ist auch sehr hoch.
- Cornelie Rothmaler-Schön: Auch im Kleinen Verantwortung zeigen, zum Beispiel beim Thema gesunde Ernährung.
Teilnehmer der Expertenrunde:
Michael Langhorst, Stellvertretender Personalleiter, SIEGENIA-AUBI KG
Dr. Claus Offermann, ZertSozial Stuttgart
Stephan Jäger, Industrie- und Handelskammer Siegen / Geschäftsbereich Standortpolitik, Innovation, Umwelt
Sebastian Schreiber, TQM- und Gesundheits-Beauftragter, Diakonie Sozialdienste GmbH
Dr. Gisela Labenz, Ernährungsmedizin und Prävention
Thomas Kleb, Mitglied der Geschäftsleitung, Heinrich Georg GmbH
Cornelie Rothmaler-Schön, Vorländer & Rothmaler GmbH
Daniel Imhäuser, Geschäftsführer Diakonie Sozialdienste GmbH und (hier) Mitglied des Aufsichtsrats der doqtor Unternehmergesellschaft
Autorin/Fotos: Sabine Nitz