Wo Zeit das größte Geschenk ist

Vier Frauen berichten von ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit im Seniorenheim

Weidenau. Behutsam hilft Doris Ebert einer Bewohnerin in den Sessel. „Wie geht es Ihnen?“, fragt sie die ältere Dame und drückt sie herzlich an sich. Langsam, auf ihren Rollator gestützt, geht eine andere Frau den Flur entlang. Karola Habermehl weicht ihr nicht von der Seite. Liebevoll legt sie ihr die Hand auf die Schulter, um sie sicher in das Gemeinschaftswohnzimmer zu begleiten. Dort wartet schon der Rest der eingespielten Frauentruppe. Es wird viel gelacht. Das Miteinander ist herzlich und vertraut. Karola Habermehl, Gisela Simon, Christa Kwirand und Doris Ebert sind 4 von 50 ehrenamtlichen Mitarbeitern im Fliedner-Heim, einer Pflegeeinrichtung der Diakonie für Senioren in Siegen-Weidenau. Neben den Pflegekräften nehmen sie eine sehr wichtige Rolle in der Betreuung der alten Menschen ein. Um zu verdeutlichen, wie wichtig die ehrenamtliche Arbeit ist, gewähren die vier Frauen, stellvertretend für alle Ehrenamtlichen, einen Einblick in ihre Tätigkeit.

Schnell ist das kleine Wohnzimmer voller Leben: Die Frauen plaudern wild durcheinander und scherzen mit den Bewohnerinnen. Viele von ihnen engagieren sich schon mehrere Jahre ehrenamtlich, so auch Christa Kwirand. Die 74-Jährige arbeitet seit 14 Jahren hier im Heim. Früher hätte sie sich nicht vorstellen können, alte und pflegebedürftige Menschen zu betreuen. „Meine Mutter war selbst Bewohnerin hier und da habe ich gemerkt, wie viel Freude es mir macht, meine Zeit mit älteren Menschen zu verbringen.“ Kwirand und ihre Kolleginnen kommen ein bis zweimal pro Woche. „Ich habe zwei feste Bewohner, die ich regelmäßig besuche, ich gehe aber sporadisch auch zu anderen oder begrüße Neuzugänge.“ Wo sie gebraucht wird, da ist Christa Kwirand zur Stelle und hilft immer gerne aus. „Ich besuche meistens eine Dame, die leider niemanden mehr hat. Nur mittags kann ich da nicht hin, dann guckt sie immer ihre Serie“, erzählt Doris Ebert mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen. Die 73-Jährige ist seit fünf Jahren dabei und durch eine Freundin hierher gekommen. In einer sehr schweren Zeit spendete ihr die Arbeit im Heim Trost und Mut. „Ich habe vor fünf Jahren meinen Mann verloren und wollte wieder eine Aufgabe haben. Die ehrenamtliche Arbeit hat mir in der Zeit der Trauer sehr geholfen.“ Doris Ebert ist dankbar für die Möglichkeit, den Bewohnern, die keine Angehörigen mehr haben, Nähe und Freundschaft zu schenken. Diese Nähe bekommt sie auch zurück. Das bedeutet ihr sehr viel.

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Die Frauen sind 4 von 50 ehrenamtlichen Mitarbeitern im Fliedner-Heim und verbringen gerne ihre Zeit mit älteren Menschen. (Von links): Karola Habermehl, Gisela Simon, Christa Kwirand, Doris Ebert.

Viele der alten Leute sind bettlägerig oder körperlich soweit eingeschränkt, dass sie nicht die Möglichkeit haben, sich ohne Hilfe zu bewegen. Darum lassen sich die Frauen einiges einfallen, um ihren Alltag abwechslungsreich zu gestalten. Ob während eines Spaziergangs an der frischen Luft oder beim gemeinsamen Stricken – die Bewohner erzählen gerne Geschichten aus ihrer Vergangenheit. Sie haben das Bedürfnis sich auszutauschen, über ihre Gefühle und Sorgen zu sprechen, und die ehrenamtlichen Frauen schenken ihnen dafür immer ein offenes Ohr. „Viele haben keine Angehörigen mehr und bekommen gar keinen oder kaum Besuch“, erzählt Christa Kwirand. Solche Aussagen gehen unter die Haut. Darum veranstalten die Ehrenamtlichen unter anderem an Geburtstagen Kaffeekränzchen oder machen Besorgungen. Im Sommer wird auch mal gegrillt oder sonntags im Café-Stübchen gemeinsam Waffeln gebacken. Dann werden Angehörige und Nachbarn eingeladen, die das Haus zusätzlich beleben.

Seit zehn Jahren trifft man die Frauen auch auf dem Siegener Weihnachtsmarkt im Sozialhäuschen, das von Christa Kwirand und Liselotte Donner ins Leben gerufen wurde. Karola Habermehl erzählt stolz, was sie in diesem Jahr wieder gemeinsam auf die Beine gestellt haben: „Das ganze Jahr über haben wir Socken gestrickt, die wir zusammen mit anderen handgemachten Sachen dort verkaufen. Wir bieten auch selbstgebackene Christstollen, Waffeln und eingemachte Gelees an.“ Vom 17. bis zum 19. Dezember können sich Besucher von dem reichhaltigen Angebot einen Eindruck machen. Der Erlös kommt dem Fliedner-Heim zugute.

Die Älteren an ihrem Lebensabend zu begleiten und zu betreuen, wirkt sich in besonderer Weise auch auf das persönliche Leben der Frauen aus. „Ich gehe hier das erste Mal in meinem Leben einer Arbeit nach, die mir wirklich Freude macht“, sagt Gisela Simon mit leuchtenden Augen. Nach langer Berufstätigkeit war der Übergang in die Rente eine enorme Umstellung. Was fange ich mit der Zeit an? Wie fülle ich sie sinnvoll aus? Diese Fragen stellte sich damals auch Christa Kwirand. „Ich komme mir nicht so überflüssig vor und finde es schön, älteren Menschen die Zeit zu schenken, die ich zu viel habe.“ In diesem Moment erinnert sie sich an ein Erlebnis, das sie tief berührt hat. Auf die Frage an eine Bewohnerin, was sie ihr mitbringen soll, antwortete diese: „Gar nichts. Nur Zeit.“ „Das hat sich so tief in meinen Kopf eingebrannt“, erinnert sich die 74-Jährige.

Die Ehrenamtlichen im Fliedner-Heim übernehmen eine sehr wichtige und bedeutungsvolle Aufgabe, für die vor allem die alten Menschen dankbar sind.
Die Ehrenamtlichen im Fliedner-Heim übernehmen eine sehr wichtige und bedeutungsvolle Aufgabe, für die vor allem die alten Menschen dankbar sind.

Die Menschen im Heim sind dankbar und glücklich, dass die Frauen sich zu ihnen setzen, mit ihnen singen oder Geschichten vorlesen. Doris Ebert weiß, wie viel Halt sie den Bewohnern gibt: „Ich habe schon erlebt, dass Leute weinten, wenn ich gehen wollte.“

Ihre Kolleginnen nicken betroffen. Doch bei dem Gedanken an besonders schöne Momente strahlen ihre Augen und ihnen fallen auf Anhieb Situationen ein, über die sie sich gefreut haben. Das sind häufig nur kleine Gesten von Bewohnern. „Die Älteren geben einem sehr viel zurück. Wenn mich jemand gerne in den Arm nimmt und mir das Gefühl gibt, gebraucht zu werden, dann freue ich mich“, erzählt Karola Habermehl. „Es gibt eine Frau, die sitzt den ganzen Tag stumm, regungslos und alleine da. Aber wenn man sie anspricht, erzählt sie einem viele Geschichten, da kann man manchmal nur staunen“, lacht Gisela Simon. „Häufig drücken Ältere, die geistig nicht mehr ganz fit sind und nicht mehr sprechen können, einem ganz fest die Hand. Das ist ein schönes Gefühl“, sagt Christa Kwirand und blickt nachdenklich auf ihre Hände. Besonders schwierige Momente sind für Gisela Simon und ihre Kolleginnen, wenn Bewohner sterben. Doch in diesen Situationen geben sich die Frauen gegenseitig Trost und Kraft.

Neue Frauen und Männer für die ehrenamtliche Arbeit zu gewinnen ist nicht einfach. Christa Kwirand bedauert, dass viele, die sie darauf anspricht, direkt abblocken. „Ich frage häufig im Bekanntenkreis nach, aber die sagen schnell ‚Das kann ich nicht’. Wir sind durch unsere Mütter reingewachsen, aber viele müssen erst einmal herausfinden, ob ihnen die ehrenamtliche Arbeit liegt.“ Die vier Frauen wünschen sich, dass sich noch mehr Menschen für das Ehrenamt begeistern, damit jemand für alte Menschen da ist.

Wer mehr über die ehrenamtliche Arbeit erfahren möchte, kann sich bei Marianne Braukmann, Leiterin des Fliedner-Heims in Siegen-Weidenau, unter folgender Telefonnummer melden: 0271 4884-101.

Quelle: Diakonie Südwestfalen.
Autorin/Artikel-Fotos: Anne Schneider
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