Die Symptome einer Epilepsie sind vielgestaltig, haben aber eines gemeinsam: Durch die Unvorhersehbarkeit und den Kontrollverlust während eines Anfalls büßen deutschlandweit über eine halbe Million Betroffene einen Großteil ihrer Lebensqualität ein. Sie sind eingeschränkt in ihrer Berufswahl, haben Hemmungen die Wohnung zu verlassen und dürfen je nach Schwere der Krankheit kein Auto fahren. Dabei sind viele Epilepsieerkrankungen heute gut behandelbar – vorausgesetzt die Erkrankung wird präzise diagnostiziert und mithilfe von Medikamenten oder eines operativen Eingriffs effektiv therapiert.
Dieses Ziel verfolgen Neurologen am Knappschaftskrankenhaus. Seitdem vor fünf Jahren Prof. Dr. Jörg Wellmer als Leiter des dortigen Epilepsie-Zentrums berufen wurde, hat sich dieses neben den beiden bekannten Zentren in Bonn und Bielefeld als Zentrum in Nordrhein-Westfalen etabliert und leistet mit dem von ihm wesentlich entwickelten, minimalinvasiven Verfahren zur „Stereotaktischen Radiofrequenz-Thermokoagulation“ Pionierarbeit auf dem Gebiet der „Schlüssellochchirurgie“ bei Epilepsie. Doch ehe ein dafür geeigneter Epilepsiepatient operiert werden kann, ist es ein langer Weg. Die Anfälle werden zumeist nicht von spezialisierten Ärzten beobachtet und nur selten von Angehörigen beispielsweise mittels Handy gefilmt. Deshalb ist die Ursachensuche oft ein „Puzzlespiel“. Ohne Untersuchung an einem Epilepsiezentrum werden Ursachen häufig übersehen, weiß Prof. Wellmer, der gut behandelbare Patienten oft erst nach langer Leidenszeit und vielen erfolglosen medikamentösen Therapien sieht. Mindestens eine Stunde Zeit nimmt sich der erfahrene Epileptologe beim ersten Gespräch, um durch gezieltes Fragen herauszubekommen, wie genau die Anfälle eines Patienten aussehen. Daraus kann er Rückschlüsse ziehen, welche Hirnregion betroffen ist.
Es folgen eine Analyse der Begleiterkrankungen, eine Hirnstromableitung (EEG) und eine speziell auf Epilepsiepatienten zugeschnittene Kernspintomografie (MRT). So können einerseits behandlungsbedürftige Grunderkrankungen wie Hirntumoren oder Hirnentzündungen erkannt werden. Andererseits kann eingeschätzt werden, ob Patienten, die trotz regelmäßiger Medikamenteneinnahme nicht anfallsfrei werden, von einem operativen Eingriff profitieren können. Bei einem epilepsiechirurgischen Eingriff wird der Anfallsherd aus dem Gehirn entfernt. Das geht natürlich nur, wenn zuvor sichergestellt wurde, dass durch die Operation keine wichtigen Hirnfunktionen geschädigt werden. Für die genaue Operationsplanung ist eine stationäre Untersuchung nötig. Hier werden Anfälle gleichzeitig mit Video und EEG aufgezeichnet und es kommen zahlreiche Verfahren der Hirnbildgebung zu Anwendung. Auch dabei nimmt die Ruhr-Epileptologie eine Vorreiterrolle ein. EEG-Daten werden computergestützt ausgewertet und der Ursprung der EEG-Signale im Hirn-MRT der Patienten dargestellt. Bleiben hiernach noch Unklarheiten, können EEG-Elektroden ganz gezielt zur weiteren Diagnostik in das Gehirn implantiert werden – alles nach dem Prinzip der minimal-invasiven Epilepsiechirurgie. Möglich macht dies die reibungslose Zusammenarbeit von Epileptologen und Epilepsiechirurgen der Klinik für Neurochirurgie in einem gemeinsamen Team.
Alle Schritte der Untersuchungen und Therapie werden intensiv mit den Patienten besprochen. Die neue Operationsmethode, die so genannte „Stereotaktische Radiofrequenz-Thermokoagulation“, die man auch als „Schlüssellochchirurgie“ bezeichnen könnte, entwickelte Prof. Wellmer im Jahr 2012 zusammen mit Prof. Dr. Jürgen Voges, einem stereotaktischen Neurochirurgen aus Magdeburg, für Epilepsiepatienten mit kleinen Fehlbildungen der Gehirnrinde. Die ersten fünf Bochumer Patienten wurden zunächst in Magdeburg operiert, seit 2014 werden die Operationen im Knappschaftskrankenhaus Bochum durchgeführt. Die anfallsverursachende Hirnregion wird dabei erstmals nicht operativ entfernt, sondern mithilfe von Elektroden, die durch kleine Bohrlöcher ins Hirn eingebracht werden, verödet. Durch dieses minimal-invasive Verfahren konnten bisher sehr gute Ergebnisse erzielt werden – nicht nur im Sinne der Anfallsfreiheit der Patienten und der Vermeidung neurologischer Schäden. Denn auch die Lebensqualität der Patienten nahm deutlich zu, und das teilweise nach bis zu dreißig Jahren Dauer der Epilepsieerkrankung. „Es ist schön, wenn aus Paris, London oder Texas Postkarten von Patienten kommen, die da schon immer mal hin wollten und sich vor der OP nie getraut haben“, erzählt der Leiter des Epileptologie-Zentrums in Bochum erfreut.
Text und Bild: Knappschaftskrankenhaus