Nur jeder 16. ärztliche Medikationsplan entspricht der tatsächlichen Einnahmepraxis

Schmerztabletten

Studie aus Münster

Nur jeder 16. ärztliche Medikationsplan (6,5 Prozent) korrespondiert mit der tatsächlichen Medikation der Patienten. Dies ist das Ergebnis einer auf 15 Monate angelegten Studie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, deren Ergebnisse jetzt im renommierten „Journal of Evaluation in Clinical Practice“ veröffentlicht wurden. Untersucht wurden die Arzneimitteleinnahmen von 500 Patientinnen und Patienten. Diese wurden im Zeitraum zwischen Februar 2013 und April 2014 von insgesamt 127 Apothekerinnen und Apothekern im Rahmen ihrer Ausbildung zum AMTS-Manager begleitet.

Die Studie von Isabel Waltering, Dr. Oliver Schwalbe und Professor Dr. Georg Hempel (Münster) belegt, dass die Diskrepanzen zwischen Medikationsplan und tatsächlicher Medikamenteneinnahme noch viel höher sind als bisherige Untersuchungen nahelegten: „Unser Untersuchungsansatz berücksichtigt erstmals neben den von Allgemein- und Fachärzten verordneten verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auch die Einnahme nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel“, erläutert Professor Dr. Georg Hempel.

Bis zu 21 verschreibungspflichtige Arzneimittel im Medikationsplan

Von den 500 begleiteten Patienten verfügten 80 Prozent (399 Patienten) über einen individuellen Medikationsplan. Laut dieser Medikationspläne nahmen die Patienten im Schnitt knapp neun verschreibungspflichtige Arzneimittel (in einer Bandbreite von eins bis 21 Wirkstoffen) und ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel (in einer Bandbreite von null bis sechs Präparaten) ein. Bei der Aufnahme und Analyse aller tatsächlich eingenommenen Arzneimittel in den Apotheken, der sogenannten Brown-Bag-Analyse, wurden sage und schreibe 2.021 Abweichungen festgestellt. Das sind durchschnittlich mehr als fünf Abweichungen je Patient. Die Abweichungen vom Medikationsplan betrafen in 78 Prozent der Fälle den verschreibungspflichtigen und in 22 Prozent der Fälle den nicht verschreibungspflichtigen Bereich.

Die Studie von Waltering, Schwalbe und Hempel zeigt zudem auf, in welchen Bereichen die häufigsten Abweichungen vom ärztlichen Medikationsplan vorliegen: 41 Prozent der Fälle betrafen den Austausch eines Arzneimittels durch ein weitgehend wirkstoffgleiches Arzneimittel eines anderen Herstellers. „Der Austausch an sich ist nicht das Problem, da die Wirksamkeit dieselbe ist. Aber dadurch, dass auf dem Medikationsplan ein anderer Name steht als auf dem ausgehändigten Medikament, kann es bei den Patienten zu Missverständnissen und Fehleinnahmen kommen“, unterstreicht Professor Hempel. In 30 Prozent der Fälle nahmen Patienten ein Arzneimittel ein, das nicht im Medikationsplan aufgeführt war. In etwa jedem fünften Fall (18 Prozent) hatten sie eines oder mehrere Arzneimittel ohne Kenntnis des Arztes abgesetzt. In elf Prozent der Fälle gab es zum Teil erhebliche Abweichungen bei der eingenommenen Dosis. Die meisten Abweichungen betrafen Antihypertonika (494 Fälle), gefolgt von Analgetika (178) und Antidepressiva (105).

Plädoyer für eine verstärkte interprofessionelle Zusammenarbeit

„Vollständige und aktuelle Informationen über die verordnete Medikation sind eine Grundvoraussetzung für eine sichere und optimale Therapie. Vor dem Aushändigen des Medikationsplanes ist eine Medikationsanalyse vorzunehmen“, schlussfolgern Waltering, Schwalbe und Hempel. Aus ihrer Sicht sollten öffentliche Apotheken eine Schlüsselrolle bei der Erstellung und regelmäßigen Aktualisierung von Medikationsplänen spielen. „Gerade bei Patienten, die mehrere Medikamente einnehmen – und das sind in den meisten Fällen ältere Menschen – ist eine Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern besonders wichtig. Offensichtlich bestehen hier noch hohe Defizite“, betont Isabel Waltering. Als AMTS-Dozentin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat sie in den letzten drei Jahren 428 Apothekerinnen und Apotheker auf ihrem Weg zum AMTS-Manager begleitet. „Diese Apothekerinnen und Apotheker können als Lotsen zwischen dem Patienten und den verordnenden Ärzten in ganz entscheidendem Maße zu einer Verbesserung der Therapiesicherheit beitragen.“ Insofern sei es unverständlich, dass die Apotheken im ersten Entwurf des E-Health-Gesetzes der Bundesregierung keine Berücksichtigung gefunden haben. „Insbesondere die Medikationsanalyse als neue pharmazeutische Tätigkeit muss aus unserer Sicht systematisch in die Erstellung und Aktualisierung des Medikationsplans integriert werden“, betont Dr. Oliver Schwalbe.

Quellenhinweis:
Isabel Waltering Pharm D, Oliver Schwalbe PhD and Georg Hempel PhD: Discrepancies on Medication Plans detected in German Community Pharmacies. Journal of Evaluation in Clinical Practice (2015), ISSN 1365-2753M;
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jep.12395/abstract

Symbolbild: Fotolia.com

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