Psychiatrie-Erfahrene zu Genesungsbegleitern ausbilden

Bildung
Symbolbild: Bildung – Fotolia.com

Zuversicht für Menschen mit psychischen Krankheiten

Siegen. „Ich hatte Psychosen, habe in meinem Wahn alles weggeschmissen. Jetzt weiß ich, dass es eine vorbewusst-gesteuerte Reaktion war, weil ich damals überlastet war“, erinnert sich Bettina Jahnke. „Wer psychisch krank ist, macht manchmal Sachen, die für andere verrückt erscheinen.“ Inzwischen hat Bettina Jahnke ihre Krankheit überwunden und hilft mit ihrer Erfahrung anderen Betroffenen. Denn sie hat sich zur Genesungsbegleiterin ausbilden lassen und ist Vorsitzende des Idee-Vereins in Köln. Der Verein unterstützt die Ausbildung von Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung zu professionellen Mitarbeitern im psychiatrischen Bereich. Ex-In steht dabei für experienced involvement ist aus der EX-IN Bewegung hervorgegangen – im Deutschen bedeutet das soviel wie „Erfahrene beteiligen“.

In Kooperation mit den Diakonie Sozialdiensten in Siegen soll es das Angebot nun erstmals auch im Siegerland geben. Dabei ist für Bettina Jahnke der Inklusionsgedanke besonders wichtig: “Die Menschen sind nicht zufällig krank geworden und es handelt sich um eine gesunde Reaktion auf ein krankmachendes Umfeld.  Es lohnt sich für unsere Gesellschaft, hier genauer hinzusehen.“ Als Expertin mit persönlicher Erfahrung steht sie Patienten heute auf Wunsch zur Seite und hat dabei bislang viel Positives erlebt. „Die Ausbildung war für mich selbst auch heilsam, weil ich für mich wirksame Bewältigungsstrategien gefunden habe. In unserer konkurrenzgeprägten Gesellschaft wird Menschen regelrecht abtrainiert, über eigene Verletzbarkeiten zu sprechen – doch wir fördern genau diese Form von Selbstreflexion.“

Die Ausbildung ermöglicht Psychiatrie-Erfahrenen – beispielsweise mit Depressionen, Persönlichkeitsstörungen oder Psychosen – ihre Erlebnisse und symptomatischen Wahrnehmungen zu reflektieren und im Austausch mit anderen ein „Wir-Wissen“ zu entwickeln. Angeleitet werden die Kursteilnehmer von bereits ausgebildeten Genesungsbegleitern, Trainern mit einschlägigen Berufskenntnissen und Angehörigen von psychisch kranken Menschen. In verschiedenen Modulen erarbeiten die Beteiligten beispielsweise, wie sie einen Genesungsprozess unterstützen können. Der Unterricht erfolgt an drei Tagen im Monat  und wird durch Praktika ergänzt.

Eine der ersten Genesungsbegleiterinnen in Siegen möchte Daniela Becker sein, die am Borderline-Syndrom erkrankt ist. Seitdem sie von der Ausbildung gehört hat, ist sie Feuer und Flamme dafür. „Ich kann selbst noch etwas lernen, Betroffenen ihre Ängste nehmen und etwas von meiner Stabilität vermitteln“, erzählt die Siegenerin. „Beide Seiten profitieren ungemein.“ Nach der akuten Phase ihrer Erkrankung und mehreren Klinikaufenthalten fühlte sie sich wie im sozialen Nirwana, wünscht sich rückblickend, sie hätte einen Genesungsbegleiter an ihrer Seite gehabt. „Wer an einer psychischen Krankheit leidet, kämpft. Es kann nicht sein, dass Betroffene dann ins Aus geschossen werden“,  sagt Daniela Becker. Sie ist sicher: „Genesungsbegleiter helfen, die Rückfallquote zu mindern.“

„Die Genesungsbegleiter wirken als Vermittler zwischen Arzt und Patient“, erläutert Dr. Heiko Ullrich, Chefarzt der Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Kreisklinikum Siegen. Er begleitet das Siegener Pilotprojekt als ärztlicher Experte. „Entschieden wird gemeinsam. Hier kommt nicht nur der Arzt zu Wort, die Perspektive der Begleiter wird mit einbezogen.“ Dr. Heiko Ullrich vergleicht die Absolventen der Ausbildung mit Dolmetschern, denn sie sprechen dieselbe Sprache wie die Patienten, können Patienten ihre Ängste nehmen. „Die Genesungsbegleiter haben einfach einen besseren Zugang zu den Betroffenen. Dass die Arbeit erfolgreich ist, beweisen die skandinavischen Länder, in denen diese Methode bereits gängig ist“, sagt der Mediziner. „Der Mensch steht im Vordergrund, das finde ich fantastisch“, freut sich auch Irmela Boden, die als Trainerin die Siegener Ausbildung begleiten wird. Ihr Zugang zur Psychiatrie ist entstanden, weil sie Tochter eines psychisch kranken Vaters ist und erst im Laufe von Jahren gemerkt hat, wie sehr das mit der Krankheit ihrer Vaters einhergehende Stigma auf ihr Leben Einfluss genommen hat. Sie bringt somit die ganz eigene, nicht immer unbelastete Perspektive der Angehörigen mit ein. „Ich erhoffe mir davon, dass neue Wege erforscht und die Horizonte aller erweitert werden“, erklärt sie und führt fort: „Angehörige gucken gerne auf die Beziehungsebene. Sie können als Brücke dienen und Vorurteile und Ängste, zum Beispiel zwischen Betroffenen und Freunden, abbauen.“

Die Ex-In-Ausbildung dauert ein Jahr und umfasst zwölf Theorieblöcke aus jeweils 22 Unterrichtsstunden. In Siegen soll der Kurs noch in diesem Jahr starten. Interessierte können sich wenden an: Irmela Boden (Tel. 02991 610200, Mail: irmela.boden@gmx.de), Dr. Karl Steinhäuser (Tel. 02232 949440, Mail: sth@steinhaeuser-schallehn.de) oder Margit Haars (Tel. 02752 4703, Mail: margit.haars@diakonie-sw.de)

 

Quelle: Diakonie

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