Leisure Sickness
Kreisgebiet: Wochenlang hat man geschuftet und sich auf den Urlaub gefreut. Doch gleich am ersten freien Tag passiert es: Ein Fieberschub, die Nase läuft, der Kopf dröhnt. „Es kommt häufiger vor, dass Menschen im Urlaub oder am Wochenende krank werden. Betroffen sind vor allem beruflich stark belastete Menschen“, so Rainer Henkel, Diplom-Psychologe bei der AOK Siegen.
Leisure Sickness heißt das Phänomen und wird ins Deutsche mit Freizeitkrankheit übersetzt. „Dabei ist es natürlich nicht die freie Zeit, die krank macht, sondern der Stress vor der Ruhephase“, so Henkel. Die Erfahrung, ausgerechnet an den freien Tagen krank zu werden, machten immerhin bereits 22 Prozent der deutschen Beschäftigten. Das hat eine aktuelle Untersuchung bestätigt. An der repräsentativen Online-Umfrage nahmen rund 2.000 Menschen teil. Die Umfrage ergab noch ein weiteres Ergebnis: Das Phänomen, in der Freizeit zu erkranken, trifft nicht nur vielbeschäftigte Manager mit einer 60-Stunden-Woche, sondern auch andere Beschäftigte. Die Bandbreite der Symptome reicht von grippalen Infekten mit Halsschmerzen und Fieber über starke Müdigkeit bis zu Kopfschmerzen und Übelkeit. Sogar schwere Erkrankungen wie beispielsweise Herzinfarkte können vorkommen. „Viele merken erst in den Erholungsphasen, wie sehr sie sich körperlich und geistig angestrengt haben“, sagt Henkel. „Sie sind oft ehrgeizig und pflichtbewusst, bekommen die Arbeit nicht aus dem Kopf und sind ständig erreichbar.“ Die Betroffenen schlafen zudem schlechter als ihre Arbeitskollegen und sind eher bereit, Überstunden zu machen.
Warum wird man aber überhaupt krank, wenn der Körper eigentlich auf Erholung schalten sollte? „Bei Stress arbeitet das Immunsystem auf Hochtouren“, erklärt der AOK-Psychologe. „Fällt der Stress weg, fährt der Körper die Produktion der Abwehrzellen herunter, sodass Krankheitserreger leichteres Spiel haben.“ Das vegetative Nervensystem spielt dabei eine große Rolle. Es steuert viele lebenswichtige Körperfunktionen, wie die Atmung und Verdauung sowie den Stoffwechsel. In Zeiten hoher Anforderungen steht das vegetative Nervensystem ständig unter Spannung. Ein Teil dieses Systems, der Sympathikus, treibt den Organismus zu körperlichen und geistigen Höchstleistungen an. Er sorgt dafür, dass das Herz schneller schlägt und der Blutdruck steigt. Sein Gegenspieler, der Parasympathikus, ist für Erholung und Entspannung zuständig. Ist ihr Zusammenspiel aufgrund der dauernden Anspannung gestört, fühlt sich der Betroffene auch im eigentlichen Ruhezustand stets gehetzt und unter Druck. Warnzeichen wie Herzrasen, Kurzatmigkeit oder übermäßiges Schwitzen sollte man ernst nehmen.
„Eine ständige hohe Arbeitsbelastung ohne Phasen der Erholung kann zu psychosomatischen Erkrankungen führen“, warnt Henkel. Es ist daher wichtig, schon vor dem Urlaub oder dem Wochenende mit der Erholung zu beginnen. Auch in der Woche können sich Berufstätige Minuten und Stunden der Entspannung gönnen. Regelmäßige Bewegung und sportliche Aktivitäten in Maßen gehören zu den besten Mitteln gegen Stress. Es hilft zum Beispiel schon, dreimal pro Woche 30 Minuten lang in schnellerem Tempo spazieren zu gehen. Wem Entspannungsübungen gefallen, der kann Yoga, Meditation, Tai-Chi, Qigong oder ähnliche Methoden ausprobieren. Zur Ruhe kommt man gut am Abend bei einem gemütlichen Essen mit der Familie oder Freunden, einem Buch oder mit ruhiger Musik vor dem Einschlafen. Die Zeit nach der Arbeit nur vor dem Fernseher oder am Smartphone zu verbringen, verschafft dagegen keine echte Erholung.
Viele machen vor dem Urlaub noch extra Überstunden, um den Kollegen keine zusätzliche Arbeit zu hinterlassen. Das ist kontraproduktiv, weil man den Urlaub dadurch in einem gestressten Zustand beginnt. „Es sollte in einem Betrieb angestrebt werden, dass Aufgaben von Kollegen beziehungsweise nach dem Urlaub erledigt werden können“, empfiehlt Psychologe Rainer Henkel. Zur Ruhe kommen heißt, die freie Zeit nicht mit zu vielen Aktivitäten oder sportlichen Herausforderungen vollzupacken. Ansonsten wird das Stresshormon Cortisol nicht oder nur langsam abgebaut, sodass sich ein Erholungseffekt nicht einstellen kann. Besser ist es, Langeweile zu praktizieren und sich auch mal spontan zu entscheiden, was man heute unternehmen will. In den Urlaub startet man am besten, indem man sich ein oder zwei Tage Ruhe und Nichtstun gönnt, möglichst ohne Hektik am Urlaubsort ankommt und am ersten Tag früh schlafen geht.
Quelle: AOK